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Bilderschatz HarunFarocki|TouchMeNot AdinaPintilie
Vernissage: 27 April 2018, 19:00 P.M
Ausstellung: 28-29 April 2018, 11:00 A.M - 23:00 P.M

Anlässlich des 2018 Gallery Weekends präsentierte The Fact Finder zwei Filmprojekte von Harun Farocki und Adina Pintilie.

Photo Credits Valentina di Berardino

HARUN FAROCKI: BILDERSCHATZ, TOWARDS A CINEMATOGRAPHIC THESAURUS
Kuratoriert von Antje Ehmann

Am 7. Dezember 1999 gab Harun Farocki (HF) auf Einladung des _Vilém_Flusser_Archivs eine Flusser Lecture, der er den schönen Titel Bilderschatz gab.
Dieses Wort ist so stark und treffend, weil es sogleich den Umstand aufruft, dass es in der Alltagssprache – im Gegensatz zu Wortschatz – einen Bilderschatz eigentlich nicht gibt. Und genau das war es, was HF vermisste. Als Liebhaber von Wörterbüchern, in denen er gerne Worte und ihre Herkunft nachschlug, schwebte ihm vor, etwas Ähnliches für Bilder, Bildsorten und –motive zu entwickeln. Jedoch nicht als ein Bilder-Lexikon in Buchform, sondern in Form von Filmen und Installationen, die im Medium des Bildes selbst etwas über Bilder aussagen.
Der erste Film, der im Rahmen dieses Projekts entstand – vorgestellt als ein erster Eintrag in ein zukünftiges Lexikon – war Arbeiter verlassen die Fabrik (1995), der das Motiv des Fabriktors in Spielfilmen, Dokumentarfilmen, in Propagandafilmen und Wochenschauen untersucht.

Der Ausdruck der Hände (1997), der in dieser Ausstellung im Zentrum steht, widmet sich dem Motiv der Hand in der Geschichte des Films. Wir zitieren aus dem Exposé: „Die ersten Großaufnahmen der Filmgeschichte sind auf Gesichter gerichtet, aber schon die zweiten zeigen Hände. Diese Großaufnahmen schneiden aus oder heben hervor oder vergrößern: Hände, die gierig nach dem Glas greifen, die einen Revolver halten, vor Angst zittern oder sich in Wut ballen... Die Großaufnahme vom Gesicht ist etwas gänzlich anderes als die der Hände: Ein Gesicht kann für den ganzen Menschen einstehen (wohl, weil da die Augen sind, der mögliche Zugang zur Seele, zum Ich), während die Hände, sieht man ihnen länger zu, wie Dinge aussehen, vielleicht wie Tierchen.

Oft sollen die Hände etwas enthüllen, was das Gesicht verbergen will, etwa dann, wenn jemand bei seelischer Erschütterung die Fassung wahren will, die Hände aber ein Glas zerdrücken. Gerichtsmediziner sehen auf die Hände, nicht in das Gesicht, wenn es gilt, das Alter eines Menschen abzuschätzen. Die Hände können nicht so gut lügen wie das Gesicht, sagen ihre Wahrheit unverblümter, etwas, was man früher den niedrigen Ständen zuschrieb.

Für die Hände sind Zeichensprachen ausgebildet, allgemeine: der drohende Zeigefinger, Geldzählen, und spezialisierte: Seemannszeichen, Taubstummensprache – beider Ausdrücke sind viel eindeutiger, als mimische es sind. Allzu oft schaut die Kamera auf die Hände, um etwas zu erweisen und allzu selten, um den Händen etwas abzusehen. Zu oft erscheinen die Hände in Ergänzung zum Gesicht. Dann gibt es noch die magischen Gesten, die Berührung, die verzaubert oder verhext, segnet, oft tröstet. Diese Gesten haben eine weit zurückreichende Herkunftsgeschichte. In jeder aktuellen Geste scheint viel von dieser Vorgeschichte auf.“

Da man, um für Filmprojekte Gelder zu bekommen, Texte schreiben muss, ist dieser Text entstanden. Zum einen. Zum anderen ging das Lesen, Recherchieren, Schreiben – im Falle von HFs Filmarbeit – immer Hand in Hand. Ein Exposé schreiben zu müssen, zwingt einen zum Klartext. Und das ist gut. Bei dem Bilderschatz-Projekt ging es jedoch gerade darum, nicht Bilder mit Text, Stich- oder Schlagworten zu adressieren, sondern um die Frage, was an ihnen als Bild sortierbar ist – jenseits von Text. Zu dieser Fragestellung es war vom 6. – 8. Februar 2001 ein Symposium in den Kunst-Werken Berlin veranstaltet. Suchbilder. Schritte zu einem Archiv filmischer Topoi, in dem es um den Austausch zwischen hermeneutischen / menschlichen Techniken der Adressierung und algorhithmischen / maschinellen ging. Die daraus entstandene Publikation und andere im Kontext des Bilderschatz-Projektes wichtige Bücher, sowie Dokumente zur Entstehungsgeschichte des Films Der Ausdruck der Hände sind in der Ausstellung für diejenigen zugänglich, die sich mit der Materie / dem Projekt tiefergehend auseinandersetzen möchten.

Folgende weitere Arbeiten aus Harun Farockis und Harun Farockis &Antje Ehmann können dem Projekt Bilderschatz zugeordnet werden:

Harun Farocki, Gefängnisbilder, Video, 2000, 60 Min. (Film: Das Motiv des Gefängnistors / Die Ikonographie des Gefängnisses)
Harun Farocki, Arbeiter verlassen die Fabrik in elf Jahrzehnten, 12 Videos, 2006, tot. 36 Min. (Installation: Das Motiv des Fabriktors / Der Übergang von Arbeitswelt und Privatleben)
Antje Ehmann, Harun Farocki, Tropen des Krieges, 6 Videos, 2011, tot. 35 Min. (Installation: Motive des Kriegsfilm-Genres)
Antje Ehmann, Harun Farocki, Fressen oder Fliegen, 6 Videos, 2008, tot. 24 Min. (Installation: Das Motiv des männlichen Selbstmords im Film)

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ADINA PINTILIE: TOUCH ME NOT
(7 Min.)
Mit Unterstützung von Manekino Film

Sag mir, wie du mich geliebt hast, damit ich verstehe, wie man liebt.

Zusammen erforschen ein Filmemacher und seine Filmfiguren auf persönliche Weise Intimität. Touch me Not folgt auf der fließenden Grenze zwischen Realität und Fiktion der emotionalen Reisen von Laura, Tomas und Christian, und bietet einen sehr einfühlsamen Einblick in ihr Leben. Begierig nach Intimität, aber auch voller Angst davor, arbeiten sie an der Überwindung alter Muster, Abwehrmechanismen und Tabus, um endlich frei zu sein. Touch me Not untersucht, wie wir Intimität auf die unerwartetste Art erfahren, wie man einander liebt, ohne sich selbst zu verlieren.

"Touch me Not will zu einem Raum der (Selbst-)Reflexion und Transformation werden, in dem der Betrachter herausgefordert wird, sein Wissen über die menschliche Natur zu vertiefen und seine Erfahrungen und Vorstellungen über intime menschlichen Beziehungen neu zu bewerten, mit besonderem Schwerpunkt auf De-Objektivierung und Personalisierung des menschlichen Austauschs und über Stimulation unserer Neugier über das unterschiedliche „Andere" und unsere empathische Fähigkeit, uns in den anderen zu versetzen. Ich persönlich glaube, dass das Verstehen der menschlichen Natur und das Trainieren unserer Fähigkeit, den anderen als ein anderes Ich, als eine weitere Möglichkeit, unseres eigenen Selbst wahrzunehmen, eine wesentliche transformative Kraft in sich tragen kann, sowohl für unser innerstes Selbst als auch für die Art, wie wir mit anderen interagieren. Wie Gustav Landauer bemerkt: < Gesellschaft ist nicht etwas, das durch eine Revolution verändert werden kann, sondern ein Zustand, eine bestimmte Beziehung zwischen Menschen, ein Modus des menschlichen Verhaltens; wir ändern sie durch unsere Art der Beziehung, indem wir uns anders verhalten. >

Die oberste Ebene, wo die Realität vs. Fiktion-Dialektik ins Spiel kommt, ist der tatsächliche Prozess des Filmemachens: nicht nur in Bezug auf das kreative Potential realer Orte und Ereignisse, sondern auch und vor allem im Umgang mit den Charakteren. Die Besetzung ist eine Mischung aus professionellen und nicht-professionellen Schauspielern. Umfangreiche Improvisations-Workshops experimentieren mit Ansätzen wie Familienaufstellung, Reenactment, 'Inszenierungs'-Realität, einem intimen Tagebuch, der Darstellung von Träumen, Fantasien usw. der Figuren, um die Figuren basierend auf den echten emotionalen Hintergründen der Teilnehmer aufzubauen und immer tiefere Schichten der inneren Wahrheit der Figuren zu offenbaren. Fiktion fungiert als ein Rahmen für die Arbeit mit der Realität, während sie zur gleichen Zeit einen sicheren und schützenden Raum für die Menschen bietet, die das Risiko, sich zu öffnen und dabei ihre Seele mit uns zu teilen, auf sich nahmen.
Ich 'caste' eine Person, um eine 'Figur' zu verkörpern, aber der Charakter wird 'echt', während ich mit der privaten Geschichte der Person, die sie verkörpert, arbeite und dessen Biografie, persönliche Erinnerungen usw. somit Hybridteil des emotionalen Fleisches des Charakters wird. Der Mensch auf dem Bildschirm ist eine neue, komplexe Kreatur voller Widersprüche, ein Hybrid zwischen meinem eigenen Material und deren eigener Biografie." (Adina Pintilie)

Über die Szene:
Als Teil von Touch me Not begibt sich Tómas Lemarquis auf eine Reise der Selbstfindung, unter den Augen und der Anleitung von Z während eines Emotionale Anatomie-Workshops, der speziell für das Projekt von Körperarbeit-Therapieberatern konzipiert wurde, die auf den Umgang mit der Behinderung spezialisiert sind.

Tómas Lemarquis
In Island und Frankreich aufgewachsen, studierte Tómas Lemarquis Theater an der Cours Floren in Paris und Reykjavik School of Fine Arts in Island. In der Zwischenzeit erforschte er verschiedene schamanistische Praktiken und andere alternativen Therapien, und sein Prozess des persönlichen Wachstums kombinierte dabei harmonisch geistige Forschung mit künstlerischem Experimentieren. Er ist vielleicht am besten durch seine zentrale Rolle in dem isländischen Film Nói Albinói von 2003 bekannt. Er erschien auch in Filmen wie Snowpiercer, X-Men: Apocalypse und Blade Runner 2049.

Christian Bayerlein
Christian wurde 1975 mit spinaler Muskelatrophie geboren, und versuchte am Anfang symbolisch genau die Phase zu verkörpern, in denen sich die Charaktere von Touch me Not zu Beginn unserer Forschung befanden: gefangen in ihrem Kopf, in ihren rationalen Abwehrmechanismen und abgeschnitten von den eigenen Körpern, mit ihren Empfindungen und Emotionen. Doch offenbart unser Prozess ihn uns als erstaunlich menschliches Wesen, dessen Geist sich öffnet, in einer harmonischen Beziehung mit seinem eigenen Körper und den anderen, einen energetischen Fürsprecher für die Rechte behinderter Menschen, ein leidenschaftlicher Reisender und ein neugieriger Erkunder von Intimität, der mit Bereichen wie BDSM, Polyamory, Tantra usw. experimentiert. Chrstian schreibt einen Blog über Sexualität und Behinderung, http://kissability.de.

Christians Motivation, zu Touch me Not Projekt zu gehören:
„Hör zu, Adina, gehen wir zusammen auf diese Reise, denn gemeinsam sind wir stark. Ich fürchte mich nicht vor diesem Film oder dass ich selbst angegriffen werden könnte. Du weißt, wenn sie dir vorwerfen, dass du gefährdete Menschen wie Menschen mit Behinderungen ausnutzt, dann sei dir einfach darüber im Klaren, dass die Menschen, die das schreien, genau diejenigen sind, die keine Ahnung von Behinderung haben, darüber, was wir Behinderte fühlen, brauchen, uns wünschen. Sie haben ihre eigenen falschen Vorstellungen über Behinderung."

Über Touch me Not Multiplattform
Die Erforschung über Tabus hinaus, in die wesentliche Rolle hinein, die Intimität in der menschlichen Entwicklung spielt, möchte Touch me Not einen Raum zur (Selbst-)Reflexion öffnen, um die Perspektive des zuschauers hinsichtlich Intimität herauszufordern, zu Toleranz, Integration und freier Meinungsäußerung zu erziehen und diese zu fördern, den Menschen, die von Vorurteilen oder Diskriminierung betroffen sind, eine starke Stimme zu geben, indem ihnen ein Raum angeboten wird, in dem sie ihre Erfahrungen mit einem breiten Publikum teilen können.

Eine kompromisslose Auseinandersetzung mit der menschlichen Psyche, mit einer sehr persönlichen, konzeptionellen Art von Ästhetik, ganz neu im zeitgenössischen rumänischen Kino, ist Touch me Not der 1. Teil des kommenden Multiplattform-Kunstprojekts (gefolgt von einer interaktive Performance, einer Video-Installation, einer Website, einer Reihe von filmischen Werken), unterstützt vom nationalen Museum der zeitgenössischen Kunst Bukarest, dem Centre Pompidou, dem Museum of Modern Art Warschau und dem Spinnerei Kunstzentrum Leipzig.

2018 (c) Manekino Film, Rohfilm Productions, PINK, Agitprop, Les Films de l'Etranger

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